Der Effekt der Piezoelektrizität (auch piezoelektrischer Effekt oder kurz: Piezoeffekt, veraltet: Piëzo-) beschreibt das Zusammenspiel von mechanischem Druck (griech. πιέζειν – pressen, drücken) und elektrischer Spannung in Festkörpern. Er basiert auf dem Phänomen, dass bei der Verformung bestimmter Materialien auf der Oberfläche elektrische Ladungen auftreten (direkter Piezoeffekt). Umgekehrt verformen sich diese (zumeist Kristalle) bei Anlegen einer elektrischen Spannung (inverser Piezoeffekt, siehe dazu auch Elektrostriktion). Der Piezoeffekt ist damit in der Physik das Bindeglied zwischen der Elektrostatik und der Mechanik.
Der piezoelektrische Effekt ist allerdings bei allen bekannten Materialien relativ klein: Die Verformung beim Anlegen einer Spannung kann kaum ein Promille der Körperabmessung überschreiten.
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Der direkte Piezoeffekt wurde im Jahre 1880 von den Brüdern Jacques und Pierre Curie entdeckt. Bei Versuchen mit Turmalinkristallen fanden sie heraus, dass bei mechanischer Beanspruchung auf der Kristalloberfläche elektrische Ladungen entstehen, deren Menge sich proportional zur Beanspruchung verhält.
Die ersten Anwendungen waren piezoelektrische Ultraschallwandler und bald darauf Schwingquarze für die Frequenzstabilisierung. Durch das 1950 an Walter P. Kistler erteilte Patent auf den Ladungsverstärker gelang der piezoelektrischen Messtechnik der Durchbruch zur breiten industriellen Anwendung.
Durch die gerichtete Verformung eines piezoelektrischen Materials bilden sich mikroskopische Dipole innerhalb der Elementarzellen (Verschiebung der Ladungs-Schwerpunkte). Die Aufsummierung über alle Elementarzellen des Kristalls führt zu einer makroskopisch messbaren elektrischen Spannung. Gerichtete Verformung bedeutet, dass der angelegte Druck nicht von allen Seiten auf die Probe wirkt, sondern beispielsweise nur von gegenüberliegenden Seiten aus.
Umgekehrt kann durch Anlegen einer elektrischen Spannung eine Verformung des Kristalls (bzw. des Bauteils aus Piezokeramik) erreicht werden.
Wie auch jeder andere Festkörper können piezoelektrische Körper mechanische Schwingungen ausführen. Bei Piezoelektrika können diese Schwingungen einerseits elektrisch angeregt werden, bewirken andererseits auch wieder eine elektrische Spannung. Die Frequenz der Schwingung ist nur von der Schallgeschwindigkeit (eine Materialkonstante) und den Abmessungen des piezoelektrischen Körpers abhängig. Dadurch sind piezoelektrische Bauteile auch für Oszillatoren geeignet (z. B. Schwingquarze, siehe Anwendungen).
Der Piezoeffekt kann nur in nichtleitenden Materialien auftreten. Weiterhin sind alle nichtleitenden ferroelektrischen Materialien bzw. Materialien mit permanentem elektrischen Dipol auch piezoelektrisch, beispielsweise Bariumtitanat und Blei-Zirkonat-Titanat (PZT). Jedoch verhält sich nur ein Teil der Piezoelektrika ferroelektrisch.
Bei Kristallen ist die Kristallsymmetrie ein weiteres Kriterium für das Auftreten der Piezoelektrizität. Die piezoelektrische Polarisation tritt nicht auf, wenn der Kristall ein Inversionszentrum besitzt. Bei allen 21 nicht-zentrosymmetrischen Punktgruppen kann Piezoelektrizität auftreten, mit Ausnahme der kubischen Punktgruppe 432. Anders gesagt darf eine Elementarzelle kein Symmetriezentrum (= ein Punkt, an dem eine Punktspiegelung den Kristall in sich selbst überführt) besitzen.
Das bekannteste Material mit Piezoeigenschaften ist Quarz (SiO2). Quarzkristalle besitzen die nicht-zentrosymmetrische Punktgruppe 32. Jedes Si-Atom sitzt in der Mitte eines Tetraeders aus vier Sauerstoffatomen. Eine in Richtung Grundfläche-Spitze (Kristallografische Richtung: [111]) wirkende Kraft verformt nun diese Tetraeder derart, dass die zusammengedrückten Tetraeder elektrisch polarisiert sind und so auf den Oberflächen des Kristalls (in [111]-Richtung) eine Nettospannung auftritt.
Technisch genutzte Materialien, die einen stärkeren Piezo-Effekt als Quarz zeigen, leiten sich oft von der Perowskit-Struktur ab, z. B.: Bariumtitanat (BaTiO3). Die kubische Perowskit-Modifikation selbst besitzt die zentrosymmetrische Punktgruppe m3m und ist somit nicht-piezoelektrisch, das Material kann aber unterhalb einer kritischen Temperatur – die piezoelektrische Curie-Temperatur TC – in eine nicht-zentrosymmetrische Perowskit-Struktur übergehen (rhomboedrisch/tetragonal, siehe Blei-Zirkonat-Titanat). Es zeigt dann eine spontane Polarisation und besitzt ferroelektrische Eigenschaften.
Weitere piezoelektrische Kristalle sind Berlinit, Minerale der Turmalingruppe, Seignettesalz, und alle Ferroelektrika wie Bariumtitanat (BTO) oder Blei-Zirkonat-Titanat (PZT). BTO und PZT werden jedoch normalerweise nicht als Einkristalle, sondern in polykristalliner Form (Keramiken) verwendet.
Gegenüber piezoelektrischen Kristallen haben piezoelektrische Keramiken wie PZT den Vorteil wesentlich höherer piezoelektrischer Koeffizienten. Vorteile der Kristalle Quarz, Galliumorthophosphat und Lithiumniobat sind höhere Temperaturstabilität, geringere Verluste, eine wesentlich geringere Hysterese und kaum vorhandenes Kriechen (also verzögerte Verformung) nach Änderung der angelegten Spannung.
Industriell hergestellte Piezoelemente sind zumeist Keramiken. Diese Keramiken werden aus synthetischen, anorganischen, ferroelektrischen und polykristallinen Keramikwerkstoffen gefertigt. Typische Basismaterialien für Hochvolt-Aktoren sind modifizierte Blei-Zirkonat-Titanate (PZT) und für Niedervolt-Aktoren Blei-Magnesium-Niobate (PMN).
Der Stoffverbund der PZT-Keramiken (Pb,O,Ti/Zr) kristallisiert in der Perowskit-Kristallstruktur; unterhalb der piezoelektrischen Curietemperatur bildet sich durch Verzerrungen der idealen Perowskit-Struktur ein Dipolmoment aus. Bei keramischen Piezoelementen sind die internen Dipole nach dem Sinterprozess noch ungeordnet, weshalb sich keine piezoelektrischen Eigenschaften zeigen. Die Weissschen Bezirke oder Domänen besitzen eine willkürliche räumliche Orientierung und gleichen sich gegenseitig aus. Eine deutlich messbare piezoelektrische Eigenschaft lässt sich erst durch ein äußeres elektrisches Gleichfeld aufprägen (einige 106 V/m), während das Material bis knapp unter die Curie-Temperatur erwärmt und wieder abgekühlt wird. Die eingeprägte Orientierung bleibt danach zum großen Teil erhalten (remanente Polarisation) und wird als Polarisationsrichtung bezeichnet.
Das Drehen der Weissschen Bezirke durch die Polarisation führt zu einer leichten Verzerrung des Materials sowie einer makroskopischen Längenzunahme in Polarisationsrichtung.
Zur Beschreibung der räumlich unterschiedlichen Eigenschaften wird ein Koordinatensystem gewählt. Für die Indizierung wird üblicherweise ein x-, y-, z-Koordinatensystem verwendet, dessen Achsen man mit den Ziffern 1, 2, 3 bezeichnet (Achse 3 entspricht der Polarisationsachse). Die Scherungen an diesen Achsen tragen die Ziffern 4, 5, 6. Basierend auf diesen Achsen werden die piezoelektrischen Eigenschaften mit Tensoren in Formeln gefasst.
Die einfachsten Gleichungen für den Piezoeffekt beinhalten die Polarisation Ppz (Einheit [C/m²]) und die Verformung Spz (Dimensionslose Größe):
wobei d,e die piezoelektrischen Koeffizienten, E die elektrische Feldstärke (V/m) und T die mechanische Spannung (N/m²) angibt. Die erste Formel beschreibt den direkten, die zweite den inversen Piezoeffekt.
Die piezoelektrischen Koeffizienten sind:
Die beiden Koeffizienten sind über die elastischen Konstanten in einen Zusammenhang zu bringen:
Effekte zweiter Ordnung (inverser Piezoeffekt) werden durch die elektrostriktiven Koeffizienten beschrieben.
Die oben angegebenen Tensoren werden normalerweise in Matrixform umgeschrieben (Voigtsche Notation). Damit erhält man Matrizen mit sechswertigen Komponenten, welche der oben dargestellten Achsendefinition entsprechen. Die piezoelektrischen Effekte werden dann mittels zweier gekoppelter Gleichungen beschrieben, in der die dielektrische Verschiebung D anstelle der Polarisation verwendet wird.
Es ist gebräuchlich die Elemente dieser Gleichungen in der Verkoppelungsmatrix zusammenzufassen.
Wichtigster Materialparameter für den inversen Piezoeffekt und damit für Aktoren ist die piezoelektrische Ladungskonstante d. Sie beschreibt den funktionalen Zusammenhang zwischen der angelegten elektrischen Feldstärke und der damit erzeugten Dehnung. Die charakteristischen Größen eines piezoelektrischen Wandlers sind für die verschiedenen Wirkrichtungen unterschiedlich.
Im Bereich der Aktorik sind zwei Haupteffekte relevant. Für diese beiden Effekte vereinfacht sich die Gleichung für die Ausdehnung wie folgt:
Generell lassen sich die Anwendungen in drei Bereiche aufteilen:
Das Auftreten der piezoelektrischen Ladung bei mechanischer Verformung lässt sich für Kraft-, Druck- und Beschleunigungssensoren nutzen, bei denen eine einwirkende mechanische Kraft eine Verformung bewirkt. Die dabei auftretende Ladung kann mithilfe eines Ladungsverstärkers in eine messbare elektrische Spannung umgewandelt werden.
Piezoelemente eignen sich jedoch primär zur Erfassung dynamischer Prozesse. In statischen Anwendungen sind die Ladungen zumeist zu gering, um exakt detektiert werden zu können.
Aus dem piezoelektrischen Quer- und Längseffekt ergeben sich drei verschiedene Grundelemente für piezoelektrische Aktoren: Der Dickenschwinger, das Querdehnelement und der Bimorph. Hierbei ist der Bimorph eine Kombination aus zwei Querdehnelementen. Eine entgegengesetzte Ansteuerung der Elemente bewirkt eine Verbiegung des Aktors, weshalb dieser eine eigenständige Bezeichnung erhält.
Die Verformung beim Anlegen einer Spannung kann ebenso für weitere Aktoren benutzt werden: So erlauben Piezopositionierer durch die Verformung eines oder mehrerer Piezoelemente präzise Bewegungen, Piezolautsprecher erzeugen durch eine in der passenden Frequenz angelegte Spannung Schallwellen und bei Tintenstrahldruckern (Continuous-Ink-Jet) kann durch die hochfrequente Schwingung eines Piezoelementes die Tinte zerstäubt werden. Auch Tintendrucker (Drop-on-Demand) (z. B. von Epson) arbeiten zum Teil mit piezoelektrischen Aktoren.
Eine weitere wichtige Anwendung für piezoelektrische Aktoren sind Braillezeilen für Blinde. Durch das Anlegen der Spannung an Piezokeramikbauteile werden für den Blinden tastbare Stifte hochgedrückt, womit am PC der Monitortext in tastbare Blindenschriftzeichen umgesetzt werden kann.
Dieseleinspritzsysteme mit piezoelektrischen Aktoren (keramische Vielschichtbauteile mit Edelmetallinnenelektroden) habe die Common-Rail-Technik verbessert und die Einspritzung von Diesel über Ventile teilweise ersetzt. Seit 2005 werden auch beim Pumpe-Düse-System Piezoaktoren eingesetzt. Industrieunternehmen, die derartige Piezoaktoren in großen Stückzahlen fertigen, sind die Firmen Epcos und Bosch.
Da der Piezoeffekt immer auf bestimmte Richtungen des Materials festgelegt ist, müssen für zwei- oder dreidimensionale Bewegungen mehrere Piezo-Elemente so kombiniert werden, dass diese in verschiedene Richtungen wirken.
Bei diesen Anwendungen wird eine mechanische Schwingung eines piezoelektrischen Festkörpers elektrisch angeregt und wieder elektrisch detektiert. Es wird grundlegend zwischen zwei Typen unterschieden:
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Der Effekt findet Verwendung in: