Der Tischfernsprecher Modell 36 (fälschlich auch W36 genannt) ist der "Urvater" und Wegbereiter der legendären deutschen Vor- und Nachkriegstelefone der Modellreihen W38 / W48 und unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von ihnen. Dieser Apparat ist ein Klassiker des Industriedesigns, seine Gehäuse- und Hörerform war für viele Jahrzehnte stilprägend im Telefonbau.
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Mitte der 1930er Jahre beauftragte die Deutsche Reichspost die Firma "Siemens & Halske" mit der Konstruktion eines Nachfolgemodells für das damalige Standardtelefon W28. Die W-Bezeichnung ist übrigens posttypisch und bedeutet: "Wählfernsprecher mit dem Einführungsjahr 19XX". Seit 1934 führte man bei Siemens umfangreiche Tests durch, erprobte neuartige Materialien, Formen und Fertigungsverfahren. 1936 stellte Siemens auf der Leipziger Frühjahrsmesse schließlich ein auf diesen Forschungen basierendes Modell der Öffentlichkeit vor. Zuverlässiger und vor allem kostengünstiger sollte es sein. Und mit seinem formschönen Gehäuse aus Bakelit (Phenolharz-Pressstoff) auch im Design bestechen. Trotz deutlich verbesserter akustischer Eigenschaften war die Reichspost mit dem vorgestellten Modell nicht restlos zufrieden. Man wollte Nachbesserungen. Die Forderungen im Einzelnen:
Da die Reichspost dem Modell keine Zulassung gab, wurde es also nie ein "W36". Der korrekte Name lautet daher "Modell 36" beziehungsweise "fg.tist.166" und später "fg.tist.221" (Siemens & Halske Modellnummern). Siemens produzierte das Gerät trotzdem bis etwa 1948 für private Telefonanlagen. Anfänglich wurde noch ein Nummernschalter des Typs N30 eingebaut - so wie zuvor auch im W28 - jedoch mit weißen Ziffern auf schwarzem Emailblatt (es gibt aber auch einzelne Fotos mit schwarzen Ziffern auf weißem Grund). Und wie beim W28 verhinderte eine mechanische Sperre, dass man den Nummernschalter aufziehen kann, während die Gabel niedergedrückt ist. Vereinzelt gab es in den 1940er-Jahren Exemplare des Modell 36 von Siemens & Halske, bei denen die Gehäusekappe und die Fingerlochscheibe aus schwarz lackiertem Zinkdruckguss bestanden (Bilder siehe Link ganz unten). Außerdem gab es auch elfenbeinfarbene Varianten des Modells 36 (mit braunem Zifferblatt), deren Herstellungszeitraum und -ort (Deutschland oder Österreich) allerdings nicht nachgewiesen sind.
1938 erhielt schließlich eine verbesserte Ausführung, der W38, die Zulassung der Reichspost. Trotzdem orderte die Reichspost erst 1940 diesen Apparat in größeren Stückzahlen. Im Jahr 1941 waren bereits 30.000 Apparate im Einsatz. Die Glockenschalen des Weckers wurden nun aufgrund Einsparung von höherwertigem Metall für die Kriegsrüstung aus Pressglas gefertigt. Im Vergleich zum Modell 36 war das Bakelit des Gehäuses dicker und die Gehäuseschrauben befanden sich an anderer Stelle, um ein Verwechseln der Gehäuseteile mit dem älteren Modell zu verhindern. Der neue Nummernschalter "NS 38" wählte nun immer zwei Ziffern mehr, das heißt bei Wahl einer 'Eins' erzeugte der Nummernschalter drei Impulse, von denen allerdings zwei elektrisch durch den neu hinzukommenden nsr-Kontakt wieder kurzgeschlossen wurden. Sinn dieser Veränderung war eine Zwangpause von mehr als 120 Millisekunden zwischen der Wahl von zwei Ziffern, um Fehlverbindungen zu vermeiden. Äußerlich erkennt man diese Veränderung auch an der Fingerlochscheibe. Für die Wahl der Ziffer 'Eins' musste man nun fast eine viertel Umdrehung machen - also die Scheibe um drei Löcher zum Fingeranschlag vorwärtsdrehen. Auch das weiterhin produzierte Modell 36 erhielt ab etwa 1940 diesen neuen Nummernschalter - zunächst ebenfalls mit mechanischer Sperre. Im Vergleich zum Vorgänger, dem W28, änderte man auch die elektrische Schaltung leicht. Eine Wahlsperre bei aufgelegtem Handapparat war im Prinzip technisch nicht mehr notwendig, weil nun der nsa (Nummernschalter Arbeitskontakt) hinter den Gabelumschalter geschaltet wurde. Die Sperre hatte nur noch den Effekt, das "richtige Telefonieren" (Handapparat abnehmen, Wählton abwarten, Rufnummer wählen) zu erzwingen. Im W38 wurde die Anordnung der Bauelemente auf der Grundplatine noch einmal verändert. Übertrager und Kondensator wechselten die Seiten, der Gabelumschalter wurde nun mittig angeordnet. Der im Modell 36 optional einsetzbare Rundfunkfilter war im W38 nicht mehr vorgesehen. Eine erweiterte Rückhördämpfung (mit 0,3 µF Kondensator und 600 Ohm Widerstand) befindet sich nur in den ersten Modellen des W38. Der herkömmliche 1 µF Kondensator war übrigens mit dem zusätzlichen 0,3 µF Kondensator als Doppelkondensator in einem gemeinsamen Gehäuse untergebracht. Erst im W48 (West) der 1960er Jahre und im W61 (Ost) findet sich wieder eine ähnliche Schaltung.
Zwar sieht das Modell 36 äußerlich dem W38 zum Verwechseln ähnlich - baugleich ist es nicht. Äußerlich erkennt man den das Modell 36 an der hinten nicht mittig abgehenden Anschlussschnur, am arretierten Nummernschalter (sofern vorhanden) sowie an den sich spiegelbildlich zum W38 befindlichen Gehäuseschrauben an der Unterseite. Außerdem schließt das Bakelit-Gehäuse nicht, wie bei den Nachfolgemodellen der Fall, bündig mit der Grundplatte, sondern steht etwas ab, so dass der Rand der Grundplatte zu sehen ist. Paradoxerweise werden hierbei die empfindlichen Gehäusekanten durch die Grundplatte recht gut vor Bruch und Abplatzung geschützt, was bei W38 und W48 nicht der Fall ist, obwohl die Erhöhung der Stabilität gerade Sinn und Zweck dieser Gehäuseabänderung bei W38 und W48 war. So findet man heute extrem viele 38er und 48er mit abgeplatzten Kanten, während dies beim Modell 36 kaum vorhanden ist. Wie beim W38 hat der Hörer eine trichterförmige Einsprache. Das Innenleben unterscheidet sich in der Anordnung der Bauteile deutlich von den Nachfolgemodellen.
Die Nachfolgemodelle des Modell 36 sind zwar, wie bereits erwähnt, nicht baugleich, dennoch lassen sich die einzelnen Bauteile zwischen Modell 36 und W49 beliebig tauschen. Es gibt zwischen den einzelnen Bauteilen keine baulichen Unterschiede. Zwar können Form (selten: Rundkondensatoren in einigen Vorkriegs-W38, sowie in vielen „Nachkriegsflickwerken“) und Größe sowie die Art der „Verpackung“ (bei Papierummantelung meist braun, seltener cremefarben), bedingt durch unterschiedliche Hersteller und Baujahre, untereinander variieren, die Funktion und Anschlussbelegung bleiben immer gleich. Das Selbe gilt auch für die in der DDR weitergebauten W38. Die Hörer- und Anschlusskabel sind bei allen Apparaten zwischen Modell 36 und W49 austauschbar.
Viele Telefonapparate der ersten Nachkriegsjahre bestehen aus einem Sammelsurium verschiedener Bauteile. Aus der Not heraus wurden damals alle vorhandenen Ersatzteile ohne Rücksicht auf Modellreihen und Standards zu neuen Apparaten montiert. Auf diese Weise entstanden teilweise kuriose Kreuzungen aus dem Modell 36, W28 und W38. Meist wurde die Beschriftung der Kondensatoren (und damit dessen Jahresangabe) entfernt. Auch wurden oft die Grundplatten mit neuen Löchern versehen, um W38-Gehäuse mit Modell-36-Grundplatten kombinieren zu können. Solche Improvisationen gibt es von Siemens, vom Volkseigenen Betrieb VEB Fernmeldewerk Nordhausen (beide mit der Kennung: fg.tist.221b) und auch aus Österreich (fg.01.tif.066).
Obwohl bereits 1940 der W38 das Modell 36 ablöste, wurde es von Siemens & Halske in Deutschland und in Österreich und von Mix & Genest in Deutschland schon bald nach dem Krieg wieder produziert. Für Deutschland ist noch das Produktionsjahr 1948 nachgewiesen. In Österreich wurde das Modell 36 noch in den 1950er Jahren von der Siemens-Tochter Wiener Schwachstrom-Werke (WSW) für private Telefonanlagen gebaut. Ersatzteile wurden noch 1960 an Großhändler verkauft. In West-Deutschland bekamen vereinzelte Exemplare des Modell 36 eine Postzulassung, was wohl mit der Materialknappheit der ersten Nachkriegsjahre zusammenhing.