Mit Glocke bezeichnet man meist ein selbsttönendes Musikinstrument (genauer Aufschlagidiophon) mit charakteristischer Hauben- oder Kelchform (nach unten offene Halbkugel, die sich zunächst konkav und dann konvex gewölbt nach unten erweitert). Eine Glocke ist meist ein Rotationskörper, das heißt, sie besitzt Rotationssymmetrie um ihre Mittelachse. Die Glocke wirkt so als der Schwingungsträger der Läuteanlage, zu der noch die Läutemaschine und der Glockenstuhl gehören. Die gesamte Läuteanlage befindet sich in der Glockenstube.
Die häufigste Verwendung ist die als Kirchenglocke. Auch öffentliche Gebäude wie Rathäuser und Schulen haben oder hatten vornehmlich als Uhrglocken oder Alarmglocken genutzte Glocken. Dazu kommen Glocken der Mahnung und des Gedenkens.
Sind mehrere Glocken zu einem Instrument verbunden, so spricht man von einem Glockenspiel; ist es über einen Handspieltisch bespielbar und hat mindestens 23 Glocken (zwei Oktaven), von Carillon.
Glocken spielten, wie Texte aus der Tschou-Dynastie (1027-221 v. Chr.) berichten, bereits im alten China eine wichtige kultische Rolle. Die ältesten Glocken stammen aber aus der Schang-Dynastie (etwa 1600-1027 v. Chr.). Sie wurden von außen angeschlagen und anfangs mit der Mündung nach oben montiert. Anhand archäologischer Forschungen zur Geschichte dieser Klanginstrumente erweist sich das Gebiet der östlichen Tschou von Luoyang in Südchina als wichtiges Bindeglied zwischen der Glockentradition der Schang-Zeit und ihrer Wiederbelebung in der mittleren Periode der Tschou-Dynastie.[1]
Der erste bekannte Sakralbau, der am Giebel mit Glocken behängt wurde, war ein Jupitertempel in Rom.[2] Der Begriff „Glocke“ wurde dem Altirischen entlehnt (clocc; soviel wie „Schelle“, „Glocke“), da irische Mönche im 5. und 6. Jahrhundert n. Chr. die Glocken in Europa verbreiteten, zunächst wahrscheinlich als Handschellen. Die ersten Glocken waren noch genietet, seit dem 9. Jahrhundert wurden Glocken überwiegend gegossen.
Im frühen Mittelalter wurde es üblich, auf Klosterkirchen und später auch auf anderen Gotteshäusern Glocken in kleinen Dachreitern zu platzieren. Seit dem 10. und 11. Jahrhundert entstanden hohe, zum Tragen des Glockenstuhls errichtete Türme. Kirchtürme nahmen Jahrhunderte später auch Uhrwerke von Turmuhren auf.
In der Neuzeit nahm auch im europäischen Raum die säkulare Verwendung von Glocken zu. Sie wurden auf Kriegerdenkmälern zum Gedenken an tote Soldaten angebracht, fanden in der NS-Zeit Platz auf Glockentürmen der SS-Ordensburgen, wurden aber auch Mahner an die Opfer des Faschismus und gegen atomaren Terror.
Glocken werden meist durch Gießen in eine Form hergestellt. Man unterscheidet das Lehm-, Sand- und Zementformverfahren. Das verwendete Gussmaterial heißt „Glockenspeise“ und ist meist eine Zinnbronze aus 76–80 % Kupfer und 20–24 % Zinn.
Zuerst wird ein innen hohler Glockenkern gemauert und mit Lehm bestrichen. Die Lehmschicht wird mit einem rotierenden Schaber abgezogen und muss dann austrocknen. Auf die Lehmschicht bringt man ein Trennmittel auf (Talg, Fett, Graphit). Auf diese Schicht kommt wieder Lehm, der genau die Form der späteren Glocke hat: diese Schicht wird „falsche“ Glocke genannt. Nachdem sie getrocknet ist, werden auf ihr alle Verzierungen und Schriften aus Wachs aufgebracht. Auf die Wachsschicht kommen mehrere Schichten Lehm in unterschiedlicher Feinheit, damit die Verzierungen sich auch im Lehm abbilden. Diese äußere Form heißt Mantel. Ist sie fertig, wird sie mit einem Feuer im hohlen Kern im Ganzen ausgebrannt. Anschließend wird der Mantel abgehoben und die falsche Glocke zerschlagen, danach wird der Mantel wieder aufgesetzt. Zwischen Kern und Mantel ist nun ein Hohlraum.
Zum Guss wird die Grube, in der die Glockenformen stehen, mit Erde verfüllt und ordentlich verdichtet, damit die Formen den beim Gießen entstehenden Druck aushalten können. Über Rinnen wird die erhitzte Glockenspeise (ca. 1100 °C) durch das Gussloch in die Form geleitet, durch ein oder zwei andere Löcher entweicht die Luft und die beim Gießen entstehenden Gase. Nach mehrwöchiger Abkühlzeit kann die Glocke aus der Form geholt werden, wobei erst dann sichtbar wird, ob der Guss gelungen ist. Als Termin für den Guss wird traditionell der symbolträchtige Freitagnachmittag um 15 Uhr – die Sterbestunde Jesu Christi – gewählt.
Kirchenglocken sind oft variantenreich verziert; sie zeigen beispielsweise ein figürliches Relief (Heiligenfigur oder Kreuzigungsgruppe). Viele Glocken sind seit dem Spätmittelalter inschriftlich datiert und mit dem Gießernamen verzeichnet.
Das Gießen von Glocken durch den Glockengießer ist ein altes Handwerk, zu dem sehr viel Erfahrung gehört. Deshalb haben viele Glockengießereien eine sehr lange Tradition.
Von 1851 bis 1970 wurden in Bochum vom Bochumer Verein im industriellen Rahmen Glocken aus Gussstahl gegossen. Bis Mitte der 1950er Jahre wurden über 20.000 Glocken hergestellt und in alle Welt exportiert, darunter so exponierte Exemplare wie die Friedensglocke von Hiroshima. Diese Zahl sank bis Ende der 1960er Jahre so weit ab, dass der damalige Eigentümer Krupp die Produktion einstellen ließ.
In der relativ kurzen Produktionszeit der Gussstahlglocken wurden viele verschiedene Rippentypen verwandt. Bis zum Jahre 1937 wurden die meisten Glocken in sogenannter Untermollsext-Rippe (der Unterton der Glocke steht zum Schlagton im Verhältnis zu einer Moll-Sexte) gegossen. Die daraufhin in Oktavrippe (Unteroktave = Unterton) gegossenen Glocken weisen einen erheblichen Klangfehler auf: Ihr Schlagton ist im Abstand einer Sekunde aufwärts verdoppelt und verursacht somit eine unangenehme Dissonanz. Aufgrund des entstandenen Drucks der Fachwelt wurde ab 1948 eine Versuchsreihe von 12 Oktavrippen (V-Rippen) entwickelt, von denen zunächst die extrem schwer konstruierte V-12-Rippe ausgewählt wurde; sie musste fortan an gekröpften Jochen (s. Aufhängung und Läuten) aufgehängt werden. Letztendlich wurde die V-7-Rippe als endgültig ausgewählt. Um 1958 wurde eine Dur-Rippe mit erstaunlich guter Resonanz entwickelt. Ein Beispiel hierfür ist die große c1-Glocke der St.-Gottfried-Kirche zu Münster.
Stahlglocken besitzen als Aufhängung im Gegensatz zu Bronzeglocken eine sogenannte „Tellerkrone“. Um bessere Klangergebnisse beim Läuten zu erzielen, werden oftmals die Klöppel mit Bronzebacken oder -puffern versehen. Zier und Inschriften wurden nicht eingegossen, sondern nachträglich aufgeschweißt.
Stahlglocken wurden zumeist als Ersatz für in den Weltkriegen zu Kriegszwecken beschlagnahmten Bronzeglocken erworben. Bedingt durch ihre kürzere Lebensdauer (Korrosion), die häufig unzureichende Klangqualität und die Tatsache, dass die neu angeschafften Stahlglocken oftmals zu groß dimensioniert waren, was mancherorts den Glockenturm stark belastet hat, sind viele dieser Stahlglocken in den vergangenen Jahren wieder durch Bronzeglocken ersetzt worden.
Vor dem Bochumer Rathaus steht eine 15.000 kg schwere (nicht läutbare) Gussstahlglocke mit einem Durchmesser von 313 cm. Sie wurde bereits 1867 für die Pariser Weltausstellung gegossen. Die „Kaiser-Ruprecht-Glocke“ (Nominal/Schlagton: es0) in der Stiftskirche in Neustadt an der Weinstraße ist mit 14.000 kg die schwerste schwingend geläutete Gussstahlglocke überhaupt und die zweitgrößte Glocke Deutschlands nach der St. Petersglocke im Kölner Dom.
Die bekannteste Glockengießerei, die Eisenhartgussglocken herstellte, war J. F. Weule aus Bockenem, beziehungsweise die mit der Glockengießerei Ulrich aus Apolda gegründete Ulrich & Weule. Aufgrund des sehr spröden Materials und der hohen Anfälligkeit für Rostansatz (mit 4 % hoher Kohlenstoffanteil[3]) sind diese Glocken von nur kurzer Lebensdauer (max. 100 Jahre [4]). Die Klangeigenschaften können teilweise nicht einmal mit denen der Stahlglocke verglichen werden. Vergleicht man sie mit den Proportionen einer tongleichen Bronzeglocke, so fallen Durchmesser und Gewicht sehr hoch aus. Eisenhartgussglocken haben keine Krone. Die größte noch läutende Eisenglocke ist die „Christ-König-Glocke“ (b0, 4.500 kg)[5] an St. Bonifatius in Frankfurt-Sachsenhausen.
Die Briloner Glockengießerei Albert Junker begann ab 1930 mit dem Guss sogenannter „Sonderbronzeglocken“, die aus einer zinnfreien (Messing-)Legierung mit ca. 92% Kupfer bestehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Schließung der Gießerei 1955 wurden etwa 3.000 Glocken aus Sonderbronze gegossen, die teils vom Klang her mit Bronzeglocken vergleichbar, teils von mangelhafter Qualität (kurzatmiger Nachklang) waren. Zu den besten Geläuten zählen das neunstimmige Großgeläut (1948, auf gis0) für die Stiftskirche zu Baden-Baden und das sechsstimmige Geläut (1954, auf cis1) der Pauluskirche in Ludwigshafen-Friesenheim.[6]
Glocken aus Zink wurden in den späten Kriegsjahren des Zweiten Weltkrieges aus einer Kupfer-Zink-Legierung hergestellt (Junker/Brilon und Petit & Gebr. Edelbrock/Gescher). Sie haben normalerweise keine Krone und sind im Resonanzverhalten äußerst matt, dumpf und kurzatmig. Ihr Gewicht beträgt zwischen 20 und 300 kg.
„Euphonglocken“ sind aus einer Kupfer-Zink-Legierung hergestellt worden. Die einzige Gießerei, die diese Glocken goss, war die des Carl Czudnochowsky aus Erding. Diese Gießerei blieb bis zum Jahre 1971 bestehen. Die größten Euphonglocken sind das f0 in der Propsteikirche St. Joseph zu Gelsenkirchen-Schalke, „Hosanna“ (fis0, 5.250 kg) der Erzabtei Sankt Ottilien und die „Salvatorglocke“ (fis0, 5.650 kg) der Pfarrkirche Maria Hilf in München-Au.
Die Glockengießerei Benjamin Grüninger aus Villingen goss sogenannte „Weißbronzeglocken“. Die aus einer Aluminiumlegierung gegossenen Glocken weisen wegen des extrem weichen Metalles eine sehr starke Abnutzung auf. Klanglich gesehen - praktisch kein Nachhall, sehr trockener, dumpfer Klang - dürften diese Ersatzglocken zu den schlechtesten ihrer Art zählen und sind somit schon rechtzeitig durch Bronzeglocken ersetzt worden.
Die Ersatzmaterialien haben gegenüber der Glockenbronze andere Eigenschaften, die sich nachteilig auf den Klang auswirken. Die meisten weisen eine höhere Schallgeschwindigkeit auf und haben daher eine geringere Abklingdauer. Durch die höhere Porosität einiger Werkstoffe ist die Dämpfung größer, was sich ebenfalls negativ auf den Abklingvorgang auswirkt. Auch der Elastizitätsmodul spielt eine Rolle. Bei Gussstahl ist er erheblich höher, wodurch der Klöppel einen kürzeren Kontakt mit der Glocke hat und der Anschlag härter klingt.
Die genaue Abstimmung des Klöppels spielt eine wichtige Rolle für die Qualität des Klanges der Glocke.
Der Klöppel besteht aus dem flachen sogenannten Blatt, an dem er aufgehängt wird, dem langen Schaft, dem Ballen (auch Kugel genannt, jedoch mitunter etwas dicker als hoch) und dem Vorhang (Schwungzapfen).
Die Größe des Ballens (in der Regel gelten 5/3 der Schlagringstärke als angemessen), hat Einfluss auf das Klangverhältnis von Grund- zu Obertönen. Außerdem steht die Berührungsdauer des Klöppels an der Glocke in Zusammenhang mit dem Gewicht des Ballens. Der Schwerpunkt des Klöppels muss im Zentrum des Ballens liegen, und die Anschlagstelle muss genau die dickste Stelle des Schlagringes sein. Auch die Dimensionen des Vorhangs beeinflussen den Klang.
Normalerweise wird der Klöppel aus weichem Eisen hergestellt. Zu hartes Material wirkt sich negativ auf den Klang aus, außerdem wird die Glocke stärker belastet. Aufgehängt wird er an Lederschlaufen, und zwar so, dass er genau im rechten Winkel zum Joch schwingt. Der Anschlagpunkt des Klöppels an den Schlagring sollte mit dem Stoßmittelpunkt des Klöppels zusammenfallen, um eine Beschädigung der Aufhängung zu vermeiden.
Die Glocke hängt traditionell in einem Glockenstuhl aus Holz, der üblicherweise in einem Turm untergebracht bzw. an einer erhöhten Stelle aufgestellt ist. Die beim Schwingen auftretenden Kräfte werden von ihm aufgenommen und an das umgebende Gebäude weitergegeben. Die Glocke ist an ihrer „Krone“ mit Eisenbändern am so genannten „Joch“ (hölzerne/stählerne Tragachse) befestigt. Der Klöppel aus weichem Eisen oder Stahl ist freischwingend mit einem breiten Lederriemen an der Klöppelöse in der Glocke befestigt und schlägt auf den „Schlagring“ der Glocke. Durch das Gewicht des Klöppels aber auch durch die Läutehöhe wird die Stärke des Anschlages bestimmt. Abweichend von dieser traditionellen Form der Aufhängung haben sich in den 1960er bis 1980er Jahren vielerorts Stahlglockenstühle und Stahljoche durchgesetzt. Viele Stahlglockenstühle bzw. -joche werden wieder durch hölzerne ersetzt, da sich die moderne Form als nachteilig für das Gebäude erwiesen hat und das Klangverhalten der Glocken teilweise erheblich einschränkt. Durch Korrosion besteht in einigen Fällen Absturzgefahr, so z.B. im Ulmer Münster. Hier müssen die Glocken stillgelegt werden, um den zerstörten Glockenstuhl zu ersetzen.
Die Belastung des Glockenstuhls bzw. des gesamten Turmes kann sich durch die Aufhängung an gekröpften (auch: gestelzten) Jochen dezimieren. Das Joch ist dabei nicht gerade, sondern U-förmig gebogen. Hierdurch schwingt die Glocke um die tiefergelegene Achse näher an ihrem Schwerpunkt und schlägt somit schneller an (die Zahl der Anschläge/Min. erhöht sich); eine sehr starke Kröpfung hingegen verlangsamt die Glocke; der Dopplereffekt wird ebenso stark verringert und das Läuten wirkt weniger lebendig.
Vor der Erfindung der Läutemotoren wurden die Glocken per Seilzug geläutet. Dies geschah über Seilräder oder -hebel, die am Joch befestigt sind. Gelegentlich wurde aber auch dort ein Brett befestigt, das durch Fußtritte einer über der Glocke stehenden Person in Gang gehalten wurde. Zu sehen ist dies noch u.a. an der Betglocke der Lemgoer Nicolaikirche, an der Tuba Dei aus dem Jahre 1500 in der Toruńer Johanneskirche und an der "Emmanuelle" in Notre-Dame in Paris.
Heute werden die meisten Glocken motorisch geläutet. Die Läutemaschine ist der Antrieb der Glocke. Ein Elektromotor mit elektronischer oder elektromechanischer Steuerung bringt über einen Ketten- oder Riemenantrieb und das am Glockenjoch befestigte Seilrad die Glocke zum Schwingen. Im Bereich der Ruhelage der Glocke wird der Motor abwechselnd in die eine oder andere Drehrichtung kurz eingeschaltet, wodurch sich die Glocke nach und nach bis zum gewünschten Läutewinkel aufschaukelt. Seit neuerer Zeit werden für den Glockenantrieb auch Linearmotoren benutzt.
Die Frequenz der Anschläge (gemessen in Anschläge/Min.) ist von der Masse der Glocke und des Joches, deren Schwerpunkt, dessen Abstand zur Lagerachse und dem Ausschwingwinkel abhängig. Schäden an Glockentürmen werden mitunter durch Resonanzen hervorgerufen, die sich aus der Nähe der Läutefrequenz einer Glocke zur Eigenfrequenz des Turmes ergeben und die zu Turmschwankungen von mehreren Millimetern führen. Meistens wird in solchen Fällen das Joch mit zusätzlichem Gewicht versehen (man spricht dann von einem „überschweren“ Joch), um die Glocke zu verlangsamen.
Glocke und Klöppel bilden ein Doppelpendel. Das Läuten muss daher auch für den korrekten Anschlag des Klöppels eingerichtet werden. Der Klöppel darf jeweils nur kurzen Kontakt mit der Glocke haben; genau in dem Moment, in dem der Klöppel den Schlagring (dickste Stelle der Glocke) berührt, muss die Glocke bereits wieder in die entgegengesetzte Richtung zurückschwingen. Im ungünstigsten Fall, falls der Klöppel phasengleich zur Glocke schwingt, kann die Glocke stumm bleiben.
Starr aufgehängte Glocken, die durch einen Hammer von außen an den Schlagring angeschlagen werden, heißen Schlagglocken und sind oft in einer „verkürzten“ Rippe gegossen worden. Solche Glocken dienen häufig dem Uhrschlag oder finden ihre Verwendung in Carillons/Glockenspielen. Eine besondere Läuteart ist das „Beiern“ (vgl. Läuteordnung). Hierbei werden nur die Läuteglocken rhythmisch, dynamisch und melodisch verschieden angeschlagen.
Der Raum, in dem die Glocken hängen, die Glockenstube verfügt über Schallfenster. Diese sind häufig mit Holzjalousien abgedeckt, damit einerseits die Glocken und die Läutemaschine vor der Witterung geschützt sind und sich andererseits der Klang der Glocken in der Glockenstube sammeln und gezielt in die Ferne geleitet werden kann.
Die „gotische Dreiklang-Rippe“ ist die verbreitetste Form. Bis dahin war aber ein weiter Weg. Viele mittelalterliche Glocken hatten keinen ausgeprägten unteren Teil, „Wolm“ genannt, sondern die Form eines Bienenkorbes. Solche „Bienenkorbglocken“ sind auch heute noch erhalten. Die im Jahre 1038 in dünner Bienenkorb-Rippe gegossene „Lullusglocke“ in der Stiftsruine Bad Hersfeld ist die älteste datierte Glocke Deutschlands. Die größte Bienenkorbglocke ist die 3 600 kg schwere „Kunigundenglocke“ (Nominal/Schlagton: um cis1) im Bamberger Dom. Die meisten Glocken dieser Art waren aber kleiner, bis etwa 120 kg.
Im 13. Jahrhundert entwickelte sich die „Zuckerhut-Rippe“. Der obere Teil der Glocke, „Flanke“ genannt, ist dabei relativ schlank, während der Wolm weit auslädt. Einige Exemplare dieses Glockentyps sind noch vorhanden. Im Münster zu Konstanz hängt das „Totenglöckchen“, das ca. um 1200 gegossen wurde. Sie erklingt in cis3, bei einem Durchmesser von 55 cm. In der Bergkapelle in Büsingen hängt auch eine Zuckerhutglocke. Das wohl klangschönste Exemplar ist das „Totenglöckchen“ im Überlinger Münster. Es wiegt 90 kg, hat 56 cm Durchmesser und den Ton c3. Im 15. Jahrhundert entwickelte sich die gotische Dreiklang-Rippe, bei der der Durchmesser im oberen Teil wieder weiter ist als bei der Zuckerhut-Rippe. Jene ist bis heute die üblichste Form; es fand auch die spätere „französische Rippe“ eine große Verbreitung.
Das Klangverhalten von Glocken weist einige Besonderheiten auf.
Ein Kunstmerkmal des Glockengießens besteht darin, die Tonhöhe vor dem Guss durch die Formgebung („Rippe“) und die Legierung so festzulegen, dass ein Nachstimmen durch nachträgliches Schleifen nicht nötig ist.
Die charakteristische lebendige Geläutwirkung entsteht durch den akustischen Dopplereffekt, da durch das Schwingen der Glocke eine Relativbewegung zwischen Schallquelle und Ohr besteht. Das Anschlagen der Glocke erfolgt durch den Klöppel.
Charakteristisch für das Klangverhalten von Glocken ist, dass neben den harmonischen Obertönen auch weitere oberton-fremde Frequenzen auftreten. Dies rührt daher, dass im Unterschied zu einer (eindimensionalen) Saite oder Orgelpfeife sich stehende Wellen auf der zweidimensionalen Oberfläche bilden, die sich gegenseitig frequenzmodulieren.
Die Tonhöhe einer Kirchenglocke wird durch den Schlagton (Nominal) charakterisiert, z. B. c1 +3. Die ergänzende Zahlenangabe bezieht sich auf Sechzehntel-Halbtonschritte (also je 6,25 Cent) über oder unter dem Nominal, der seinerseits auf ein „Stimm-a1“ bei 435 Hz bezogen wird. Die Tonhöhe ist bei e1 +8 dieselbe wie bei f1 −8. Der Schlagton ist oft im Frequenzspektrum der Glocke nicht vorhanden. Er ergibt sich durch die akustischen Wahrnehmung beim Anschlagen der Glocke über das Residuumhören, indem aus den Obertönen der zugehörige Grundton abgeleitet wird.
Die von der Glocke ausgehenden Frequenzen werden in drei Gruppen unterteilt: Unterton unterhalb des Schlagtons, bei einer Moll-Oktav-Rippe genau eine Oktave tiefer, in der ersten Oktave oberhalb des Schlagtons Prime bzw. Prim-Vertreter, Terz, Quinte bzw. Quint-Vertreter, Oktave und Mixturtöne wie Dezime, Undezime, Duodezime usw. für noch höhere Frequenzen.
Das Frequenzspektrum der Glocke wird durch die Glockenrippe – Form und Dicke der Glocke – bestimmt. Hierbei ist die so genannte gotische Dreiklangrippe bis heute unübertroffen. Entscheidend ist auch die Nachhallzeit einer Glocke. Bei der im Erfurter Dom installierten Gloriosa beträgt die des Untertones (E) seit der letzten Reparatur im Jahre 2004 über fünf Minuten.
Im Mittelalter wurden Glocken in der Regel nicht aufeinander abgestimmt, da jede nur einzeln verwendet wurde und deshalb nicht mit den übrigen Glocken harmonieren musste. Geläute, die über Jahrhunderte gewachsen sind und oftmals eine weder harmonische noch melodische Disposition aufweisen, sind geprägt durch ihre besondere Individualität sowohl in Bezug auf den Klang jeder einzelnen Glocke als auch des Vollgeläutes. Seit der Barockzeit werden Glocken aufeinander abgestimmt und besonders nach 1945 in immer wieder vorkommenden Motiven disponiert. Den neueren Geläuten mangelt es oft an Individualität. So existieren viele Dreiergeläute auf dem „Te-Deum-Motiv“ (s.u.). Je nach vorhandenen Schlagtönen der Glocken ergeben sich bestimmte Kombinationen, fälschlicherweise „Motive“ genannt (Motive sind metrisch und rhythmisch festgelegt), die meist nach den Anfangstönen alter Choräle oder liturgischer Lieder benannt sind. Je nach Anlass werden eher harmonische oder dissonante Motive ausgewählt. Hier einige Beispiele:
Die Inschriften der Glocken beinhalten den Namen des Gießers und das Gussjahr der Glocke. Bei frühen mittelalterlichen Glocken können Gussjahr, Name des Gießers oder beide Angaben fehlen (anonyme Gießer). Aufgrund der Zier oder Form ist es teilweise möglich die Glocke einem bestimmten Gießer zuzuschreiben. Beim Fehlen des Gussjahres kann die Glocke nach Form und Klangstruktur einem Jahrhundert oder genauer zugeordnet werden. Das Gussjahr kann in Form eines Chronogramms vorliegen.
Glocken sind entweder ausdrücklich in der Inschrift einem Heiligen oder einem Anlass (z. B. Maria Gloriosa im Erfurter Dom) gewidmet oder werden im Volksmund so benannt (z. B. Große Susanne im Freiberger Dom). Bei der Läuteordnung soll der Name der Glocke berücksichtigt werden, z. B. für das Patrozinium der Gemeinde oder die Feiertage für den namensgebenden Heiligen. Aber auch die aufgegossene Inschrift, z. B. „die Toten geleit’ ich“ (Totenglocke), spielt eine entscheidende Rolle. Zum täglichen Angelusgebet erklingt in katholischen Pfarreien (meist) die Marien- oder Angelusglocke.
Bis ins späte Mittelalter wurden die Glocken nur solistisch geläutet; jede Glocke hatte ihre spezielle Funktion, ihren Anlass, zu dem sie zu erklingen hatte. Auf eine harmonische oder melodische Abstimmung bei einem Zuguss wurde nicht geachtet. Einige Glockenbezeichnungen und Funktionen (wie die Armsünderglocke) gibt es heutzutage nicht mehr.
Name/Bezeichnung | (historische) Funktion | Beispiel (Schlagton) |
---|---|---|
Apostolica | Apostelglocke; bezeichnet die Apostelfeste | Magdeburger Dom (b°) |
Dominica (lat. die dem Herrn Geweihte) | Sonntagsglocke; bezeichnet die Sonntage | Ulmer Münster (b°) |
Evangelistenglocke | läutet während der Verlesung des Evangeliums; trägt oft die Namen der vier Evangelisten | Abtei Münsterschwarzach (b′) |
Feuer- oder Brandglocke | warnt bei Brandgefahr; in Zürich früher zur Sicherung der Herdfeuer | Münsteraner Lambertikirche |
Gloriosa (lat. die Ruhmvolle) |
Festtagsglocke; meist tontiefste Glocke eines Geläuts. Bezeichnet die Hochfeste. | Erfurter Dom (e°) |
Hosanna | → Gloriosa; kann als zweite Festtagsglocke fungieren | Erzabtei St. Ottilien (fis°) |
Marktglocke | ruft zur Eröffnung und zum Schluss des Marktes | Herrenberger Stiftskirche (es″) |
Mettenglocke | ruft zur Frühmette | Kölner Dom (h′) |
Osanna | → Gloriosa; kann als zweite Festtagsglocke fungieren; Eucharistieglocke | Halberstädter Dom (b°) |
Predigtglocke | ruft zum Predigtgottesdienst | Berner Münster (h°) |
Prim-, Terz-, Sext-, Nonglocke | ruft zu den Stundengebeten | St.-Nikolaus-Kathedrale zu Fribourg (as′) |
Rats-/Ratsherrenglocke | ruft zur Versammlung der Ratsherren, Bürgermeister | Marienkirche zu Stendal |
Schiedglocke | verkündet Verschied eines Gemeindemitglieds | Herrenberger Stiftskirche (c″) |
Schulglocke | läutet zum Schulbeginn | Georgskirche in Schlitz (c″′) |
Sturmglocke | warnt bei schweren Unwettern (vgl. Glockeninschriften „fulgura frango“: Die Blitze brech′ ich oder „alle bösen Wetter vertreibe ich“) |
Limburger Dom (g′) |
Susanna | → Gloriosa; kann als zweite Festtagsglocke fungieren. „Susanna“ ist eine Personifikation von Hosianna. | Münchner Frauenkirche (a°) |
Vesperglocke | ruft zur Vesper/Abendandacht | Braunschweiger Dom (es″) |
Wachtglocke | → Armeseelenglocke | Greifswälder Marienkirche |
Wetterglocke | → Sturmglocke | Markusmünster in Reichenau-Mittelzell (g′) |
Zeichen- oder Ruferglocke | besorgt ein/mehrere Vorläuten zum Gottesdienst | St. Peter in Zürich (c′) |
Zwölfuhr-, Elfuhr-, Neunuhrglocke etc. |
Mittagsläuten erinnert an den Sieg der ungarischen Heere über die Türken im Jahr 1456 | St. Peter zu München (a′) |
Die volkstümlichen Bezeichnungen können aus ihrem Gebrauch (vgl. Pestglocke), aber auch aus Form (vgl. Langhals) oder Stifternamen (vgl. Winklerin) herrühren.